Grosses Kino mit 16 grossen Pässen in den französischen Alpen
Geschafft. Das Team Advantage hat die Côte d’Azur nach ebenso strapaziösen wie abenteuerlichen 16 Pässen durch die französischen Alpen erreicht. Versüsst worden ist die Woche durch beste Wetterbedingungen, unvergessliche Landschaftserlebnisse und heitere Geselligkeit.
Vom Genfersee nach Nizza radeln und dabei einen legendären Alpenpass nach dem anderen überwinden. Die Routes des Grandes Alpes lässt das Herz passionierter Radfahrerinnen und Radfahrer höherschlagen. Das sind nicht bloss 700-900 Velokilometer über 16 Alpenpässe und je nach Variante über 20’000 Höhenmeter. Damit sind auch unvergessliche Landschaftserlebnisse verbunden. Täglich erwarten einen duftende Nadelwälder, zerklüfteter Fels, beeindruckende Alpenpanoramen und Fernsichten zum Dahinschmelzen. Zum Träumen bringen einen auch die Monumente des Radsports; Col du Colombière, Col du Télégraphe, Col du Galibier, Col de l’Iséran oder Col de l’Izoard sind sagenumwobene Alpenpässe. An diesen Anstiegen haben sich bereits unzählige Dramen abgespielt. Hier werden Gewinner und Verlierer der Tour de France gekürt. Hier entstehen Radsportlegenden.
Spürbare Anspannung vor dem Start
Es hängt eine Mischung aus Vorfreude, Abenteuerlust und Nervosität in der Luft als die 16-köpfige Radfahrergruppe mit drei Frauen und dreizehn Männern am Samstagnachmittag am Startort Thonon-les-Bains am Genfersee zusammenkommt. Die frisch gewarteten Velos glänzen blitzblank. Die Routen sind festgelegt, die täglich wechselnden Hotels mit Halbpension gebucht. Der Veranstalter «Velorizons» stellt den Gepäcktransport sicher. Student Gautier Tavel stellt eine Woche lang Logistik, Reparatur und Verpflegung unterwegs sicher. So kann sich eine jede und jeder aufs Radfahren konzentrieren. Beim Abendessen lernt das Team Advantage die wenigen zusätzlichen Gäste kennen, die den Peloton während der kommenden sieben Tage komplettieren.
Es geht etwas gar schnell los
Viel zu früh sind manche schon bereit am Sonntag, die Abfahrt ist erst um 09 Uhr geplant. Doch kann ein ausgiebiger Velocheck nie schaden. Und dann kommt es so, wie es kommen muss. Die erste Etappe nach La Clusaz mit dem ersten Highlight, dem Col de Colombière (1613m.ü.M.) ist kein lockeres Einfahren. Vor allem das Sextett, die via den Col de Joux Plane (1712m) 120km/3300Hm zum Ziel brausen, den übrigen sind die 90 Kilometer/2200Hm via Col de Jambaz (1027m) Anstrengung genug, legen sich in die Pedalen. Die beiden 22-jährigen Youngsters – keiner der übrigen Teilnehmenden könnte nicht deren Vater oder Mutter sein, selbstverständlich vorneweg. Für das obligate Selfie vor der Passtafel am Joux de Plane haben die jungen Wilden keine Zeit. Derart drängt es sie vorwärts. Und damit nicht genug: Am sonnenbeschienen Col de la Colombière, an dem es kräfteraubende 1200 Höhenmeter am Stück zu überwinden gilt, übernimmt sich der eine derart, dass er sich übergeben muss.
Nach dem ersten Tag einen Gang zurückschalten
Nun sind die Positionskämpfe erledigt – in den Folgetage sollten dann die durchschnittlichen Wattzahlen wieder sinken. Im Ferien und Wintersportort La Clusaz (995m.üM.) geht es unter die Dusche und dann gleich ins Apéro mitsamt Fleisch- und Käseplatte. Das Nachtessen mit Kartoffelauflauf nährt für den nächsten Tag. Es warten der Col des Aravis (1486m.ü.M.) mit prächtiger Bergkette oder der Col des Saisies (1615m.ü.M.), wo eifrig Fotos geschossen werden. Di ganze Woche über posten die einzelnen immer wieder eindrückliche Bilder im gemeinsamen Gruppenchat. Es sind Impressionen die bleiben.
Einer der Youngsters schafft an diesem, tag noch den Zusatz Col du Joly (1989m.ü.M.). Der schönste Pass des Tages ist aber sowohl für die kürzere (90km/2600Hm) wie auch die längere Tour (100km/2800Hm) der Cormet de Roselend (1967m.ü.M.). Auf der Passhöhe kurz nach dem türkisblauen Stausee begeistert das von Gautier zubereitete Mittagessen mit Taboulet, Brot, Wurst, Melonen und Bananen. Die Nacht im Hotel Angival in Bourg St. Maurice (744m. ü.M) ist mild. Ideal für eine erste Handwäsche.
Höhepunkt zum 1. August
Am Dienstag folgt zum Schweizer Nationalfeiertag ein erster Höhepunkt der Tour. Der Col de l’Iséran (2762) gilt als höchster Passübergang der Alpen. Die Anfahrt nach Tignes und Val d’Isère ist von Galerien und Tunnels gesäumt und hat landschaftlich wenig zu bieten. Doch nach einem Kaffeehalt im mondänen Wintersportort Val d’Isère warten noch letzte spektakuläre 800 Höhenmeter hinauf auf den legendären Col de l’Iséran, der letztmals 2019 im Programm der Tour de France stand. Doch aufgepasst: Mehrmals musste die Etappe auch wegen unwirtlicher Witterung gekürzt oder gar abgebrochen werden. Tourbegleiter Gautier empfängt die Radfahrer 200 Höhenmeter unterhalb des Passes in einer Hütte. Schutz und Stärkung sind dringend nötig. Denn oben toben die Winde und fahren schon beim Hinauffahren eisig in die Glieder. Der Fotohalt ist entsprechend kurz.
Windiger Abschluss
Eine Gruppe des Teams posiert zum Scherz mit Schweizerkreuztrikot, stolzgeschwellter Brust und Hand aufs Herz zum Nationalfeiertag . Die Abfahrt ist windig, wer nicht über die Felsen hinunterstürzen will, hält sich vorsichthalber in der Mitte der Strasse. Obwohl die Etappe mit 96km/2500Hm respektive 95km/2800Hm eher kurz ist: Sie hat auch nach der Passhöhe noch ihre Tücken. Die windigen letzten Kilometer hinauf nach Aussois (1120m.ü.M.) strapazieren die Nerven des einen oder anderen. Ein tollkühner Fahrer will aussen rum und sich von der anderen Seite nähern. Er muss sich zu Fuss durchs Geröll kämpfen, erlebt dafür aber ein Stück Festungsgeschichte in diesem weiten Bergtal. Die Etappe hat Energie gekostet, das Einchecken beim Hotel kann warten, die einen stürzen in ein Restaurant und bestellen Burger und Sandwiches. Die Wohlfühlmassage zu esoterischen Klängen entschädigt für die Strapazen.
Vierter Tagesetappe mit Col du Galibier
Der Mittwoch über rund 100 Kilometer startet mit einer langen Abfahrt, bietet dann aber mit Col du Télégraphe (1566m.ü.M.) und Col du Galibier (2645m.ü.M.) ein Highlight am anderen. Auf letzterem ist zum Glück das Wetter gut, oben sammeln sich die Massen wegen einer Volksrundfahrt. Der Col du Lautaret (2058m.ü.M.) wird einem auf der Abfahrt noch geschenkt. Doch ist es derart mild, dass die einen da einkehren und ein bisschen verhöcklen. Warum auch nicht: Von a an da geht es ohne Gegensteigung schnurstracks hinunter nach Les Monêtiers les Bains (rund 1400m.ü.M.).
Völkerwanderung am Col de l’Izoard
Der Folgetag fünf verdeutlicht es: Es ist noch nicht vorbei mit den Höhepunkten. Der legendäre Col de l’Izoard (2360m.ü.M.) beflügelt. Weil er am Donnerstag gesperrt ist für die Autos. Weil Massen von Velofahrern unterwegs sind und jedes freundliche «Bonjour» beim Überholen noch einmal etwas mehr Kick gibt. Das schnellste Trio rast geradezu den Hang hinauf. Auch auf diesem malerischen Pass mit Rundblick lohnt es sich, etwas zu verweilen. Nach einer längeren Abfahrt können sich alle im Aufstieg zum eher mässig steilen Col de Vars (2109 m.ü.M.) noch einmal stärken. Nach 95 Kilometern ist das Tagwerk getan. Oder doch nicht?
Cime de la Bonette zum ersten
Ein Quartett nimmt vom Zielort Jausier (1250m.ü.M.) noch den Col de la Bonette (2715m.ü.M) in Angriff. Auf dem Rundkurs hinauf zum Gipfel, der Cime de la Bonette (2802) wartet das Dach der Tour. Der 1600 Höhenmeter lange Aufstieg geht an die Substanz, einem der Youngster geht die Energie aus und er kehrt 600 Meter unterhalb des Gipfels um. Die anderen drei bringen derart prächtige Bilder und begeisternde Schilderungen mit an Abendessen, dass es prompt eine Programmänderung für Tag 6 absetzt.
Cime de la Bonette zum zweiten
Zumindest für ein Sextett, das beschliesst, den Etappenort Beuil (1040m.) via diesen ausserordentlichen Pass anzusteuern. Die Vorstellung, dass man von dieser hohen Zinne mit phantastischer Fernsicht über die Alpen direkt nach Nizza hinunterfahren könnte, ist eine zusätzliche Motivation. Einer, der nicht auf die ursprünglich geplante Tour verzichten via Col du Cayolle (2326m) und Col de Valberg (1650 m) verzichten will, erklettert de Cime de la Bonette schon frühmorgens. Die Belohnung dafür: er kann die Landschaft mutterseelenallein geniessen. Dann begeistert vor allem der verkehrsarme Pass de Cayolle, die anspruchsvollere Route via Col des Champs (2087m) wartet gar mit autofreien Strassen auf.
Hagel und Regen auf der Anfahrt nach Beuil
Für alle Radlerinnen und Radler sind es dann harte letzte 20 Kilometer bis nach Beuil. Bereits beim Mittagessen herrscht Donnergrollen, das Wetter schlägt um. Dann ergiesst sich Regen und stellenweise gar Hagel über die Velofahrer. Die einen fahren durch, nehmen den Col du Valberg und rauschen durch den prasselnden Regen hinunter zum Hotel Génépi, andere warten in einer Beiz. Am meisten Glück haben jene, die bei einem Ferienhaus unterstehen. Sie werden ins Haus und ins Wohnzimmer gebeten, wo sie bald bei dampfenden Tassen gemütlich beisammensitzen und das Gewitter abwarten können.
Einer der Youngsters fährt na diesem Tag zwei Platten ein. Und weil kein Schlauch mehr da ist, holt ihn Gautier Tavel mit dem Transportbus ab. Obwohl eng, die Fahrräder müssen oder dürfen in der Schankstube stehen, der Masseur knetet die Muskeln im Heizungskeller, hat das Hotel Charme.
Die Lasagne ist ausgezeichnet.
Betörender Duft der Provence
Die ist auch nötig für die letzte Tour am Folgetag von wahlweise 130km/2600Hm respektive 140km/3100Hm hinunter nach Menton. Auf den Auf den Anstiegen zum Co de la Couillole (1678m), Col Saint Martin (1503m) oder Col de Turini (1604) riecht es nach Süden. Die würzige Luft der Provence steigert die Vorfreude aufs Meer. Ein letztes Mittagessen auf halber Höhe zum Turini, dann geht es über diverse kleinere Pässe mit wechselndem Panoramablick nach Menton. Die Stadt, die sich weit in die Hügel hineingefressen hat, ist verkehrsreich, man schlängelt sich durch bis zum Hotel ganz nahe beim Meer und Steinstrand.
Ein prägendes mehr als abendfüllender Film
Endlich geschafft. 7 Tage hat es gedauert, die Fülle an aufgenommenen Eindrücken ist überwältigend, der entstandene innere Film ist imposant. Man fällt sich in die Arme und gratuliert einander. Die Stimmung beim stilvollen Abschlussessen mit Meerblick auf die Bucht von Menton im Restaurant «Hippocamp» respektive «Seepferdchen» ist ausgelassen. Das Dankeschön an den Tourbegleiter Gautier Tavel und die Reiskoordinatorin Ursula kommt von Herzen.
Ist nun schon wirklich alles vorbei? Die Antwort lautet JA – und alle sind auch erleichtert, dass sie sich endlich ausruhen dürfen. Am nächsten Morgen wird bereits vor acht Uhr verladen, dann geht es mit zwei Transportbussen via Montblanc-Tunnel zurück nach Thonon-les-Bains und von dort ins wesentlich kühlere Daheim in der Schweiz. Es ist, als wären nicht nur acht, sondern deren 30 Tage vergangen. So viel haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in kürzester Zeit erlebt, so sehr konnten sie sich für einmal aus ihrem Alltag herausstrampeln. Die Tour des Grandes Alpes ist ein prägendes Erlebnis – und wirkt noch lange nach.
Michi Flückiger & Eliane Huwiler